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Der Zar lässt sich fotografieren /
Die Kluge

Kurt Weill (1900–1950)
Carl Orff (1895–1982)

Der Zar lässt sich fotografieren
Opera buffa in einem Akt
Text von Georg Kaiser
Uraufführung 1928, Neues Theater, Leipzig

Die Kluge. Die Geschichte von dem König und der klugen Frau
Zwölf Szenen
Text von Carl Orff
Uraufführung 1943, Opernhaus, Frankfurt am Main

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Einführungen eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Holzfoyer und als Video

Im Rahmen dieser Neuinszenierung findet am 4. Juni um 11 Uhr im Holzfoyer die 9. Kammermusik statt.

Auch Strolche und Könige sind nur Menschen
Der Zar lässt sich fotografieren und Die Kluge: Ein extrem kurzweiliger Frankfurter Weill/Orff-Doppelabend

(…) Zwei kurze, prickelnde Opern über Wahrheit, Macht und womöglich auch Liebe, die eine viel unbekannter als die andere, in dieser Kombination überaus originell. Kurt Weill wollte mit der Buffo-Oper Der Zar lässt sich fotografieren auf ein Libretto von Georg Kaiser vor allem die gemeinsame, ebenfalls kurze Oper Der Protagonist abendfüllend aufpäppeln. Nach der Uraufführung 1928 wurde sie häufiger nachgespielt, um in und nach der NS-Zeit in der Versenkung zu verschwinden. Der Zar taucht im Pariser Fotoatelier der reizvollen Angèle auf, deren Studio aber von einem antizaristischen Terrorkommando überfallen worden ist, das im Fotoapparat eine Pistole montiert und mithilfe einer „falschen Angèle“ ein todsicheres Attentat plant (wann halte schon einer so still wie beim Fotografieren). Die falsche Angèle und der Zar turteln heftig, sind entsprechend nicht bei der Sache, die zudem auffliegt. Der Terrorzelle gelingt die Flucht, und der Zar lässt sich fotografieren.
Während Weill erst nach Paris, dann in die USA floh, arbeitete Carl Orff (fünf Jahre vor ihm geboren, 32 Jahre nach ihm gestorben) in NS-Deutschland weiter, und auch Die Kluge, im Februar 1943 in Frankfurt uraufgeführt, durfte gespielt werden. Kaum zu glauben, wenn hier der Niedergang des Rechts, der Sieg von Lug und Trug, die Ohnmacht jener, die die Wahrheit sagen, allenthalben angeprangert werden. „Denn wer viel hat, hat auch die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch! Denn über allem steht Gewalt.“
Mag sein, die einen haben die richtigen Schlüsse gezogen (es gibt Berichte über Proteste wie auch über maßlosen Applaus), die meisten aber müssen gedacht haben, jemand anderes sei gemeint. Etwas Bolschewistisches, Stalinistisches, Amerikanisch-jüdisch-Kapitalistisches, zum Beispiel. Dauerhaftes Lügen zeitigt Wirkung. Das Werk selbst (auf einen Text des Komponisten): eine Perle von einem Volksmärchen, in dem die Titelheldin die Dummköpfe, Schufte und bornierten Machthaber nach allen Regeln des Verstandes vorführt.
Manchmal sieht man Die Kluge mit Orffs Der Mond zusammen. Die neue Verbindung ist aber großartig. Der noch subtiler arbeitende Weill wie der noch wirkungsvoller arbeitende Orff haben Musiken von rasantem Unterhaltungswert geschrieben. (…)

Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau


(…) Insgesamt bietet dieser Doppelabend eine erfrischende Bereicherung des Repertoires. Keith Warner zeigt darin einmal mehr mit britischem Humor seine altmeisterliche Beherrschung des Regiehandwerks, und das Frankfurter Ensemble brilliert einmal mehr durch musikalische Exzellenz und hinreißende Spielfreude.

Michael Demel, www.deropernfreund.de


(…) Warner braucht für seine rasante Inszenierung vor allem Darstellerinnen und Darsteller. Sängerisch gibt es nicht viel zu gewinnen. Das Frankfurter Ensemble kann aber beides, singen und tanzen. Domen Križaj ist ein weich-baritonaler Zar, Juanita Lascarro eine kokett-falsche Fotografin. Elizabeth Reiter singt eine zärtlich-spitze Kluge, Mikołaj Trąbka einen hohlen König.
Die heimlichen Stars sind aber die drei Strolche, die fast permanent auf der Bühne sind, die singen und tanzen, trinken und turnen und in Windeseile von einer Rolle in die nächste schlüpfen müssen. Der beste Turner ist Iain MacNeil, der eleganteste Tänzer Dietrich Volle und kein Hahn kräht schöner als Andrew Bidlack. (…)

Bernd Zegowitz, www.die-deutsche-buehne.de


(…) Yi-Chen Lin am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters gelingt es, die blitzschnellen Wechsel des Tonfalls bei Weill flott umzusetzen und von nervöser Hektik in samtweiche Beischlafanbahnung umzuschalten – mit einem Knips. (…)

Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung


(…) Weil es hier nichts zu aktualisieren gibt, hat Warner den Zeitgeist in seiner turbulenten, temporeichen, mit vielen filmischen Anspielungen einem Thriller nachgestellten Inszenierung [von Weills Der Zar lässt sich fotografieren] weitgehend bewahrt. Auch Boris Kudličkas prächtige Kostüme spielen mit der Mode der Zeit. (…) Aus dem bis in die kleinste Nebenrolle hochbesetzten, hochmotivierten Ensemble ragte neben dem auch stimmlich testosterongesteuerten Domen Križaj als Zar die ewigjunge Juanita Lascarro heraus, deren falsche Angèle eine hochexplosive Mischung aus Lehárs Hanna Glawari und Bergs Lulu ist.
(…) Warners brillante Produktion [von Orffs Die Kluge] wischt mit ihrem britischen Witz und Understatement alle Bedenken beiseite – und das mit einer komplett anderen Ästhetik als zuvor bei Weill.
(…)
Gleichermaßen überraschend wie überwältigend das Auftreten der Klugen [Elizabeth Reiter], die der König zu sich rufen lässt. (…)

Uwe Schweikert, Opernwelt

Die Freude am Spiel mit Theaterformen, Erzähltraditionen und Konventionen des Musiktheaters teilen Kurt Weill und Carl Orff. Während sich der eine 1928 mit Der Zar lässt sich fotografieren auf das Gebiet der komischen Oper begibt, schafft der andere mit Die Kluge Anfang der 40er Jahre ein heiter-ernstes Sinnspiel, in dem sich Märchen, Volkstheater und bayerische »Kumedi« miteinander verbinden.

Im Zentrum der Handlung von Weills turbulentem Einakter steht ein Zar, auf den in einem Pariser Fotoatelier ein Attentat verübt werden soll. Zwischen dem Aristokraten und einer Mitverschwörerin, die sich als Fotografin Angèle ausgibt, entwickelt sich ein für den Machthaber lebensgefährlicher Flirt … Als echte Zeitoper lässt Weills Werk populäre Unterhaltungsmusik anklingen und integriert technische Innovationen wie das Grammophon, auf dem der zum Hit avancierte Tango Angèle abgespielt wird.

Mit einem vergleichbaren Schwung und doch in ganz anderem Duktus entwickelt Carl Orff seine Zwölf Szenen. Er greift dafür auf das Grimm’sche Märchen Die kluge Bauerntochter zurück, jene Geschichte vom König und der klugen Frau, die sich in unzähligen Varianten weltweit wiederfindet. Von der Sprache ausgehend, radikal und raffiniert primitiv zielt Orffs Die Kluge auf eine plastische Bühnenwirksamkeit. Dabei reicht die Palette des Ausdrucks vom gesprochenen über das rhythmisierte Wort bis hin zur Kantilene. Durch die Verwendung von Knittelversen entsteht eine kunstvolle Volkstümlichkeit, die immer wieder in die Persiflage kippt.

In Weills »Zar-Oper« wird das Geschehen von einem Herrenchor in Frack und Zylinder kommentiert. Bei Orff äußern sich Shakespeare-hafte Strolche in bänkelsängerischen Ensembles zu den Ereignissen – und so hörte das Publikum der Frankfurter Uraufführung im Jahr 1943 aus ihrem Mund die Worte: »Tyrannis führt das Zepter weit« …

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