Auch Strolche und Könige sind nur Menschen
Der Zar lässt sich fotografieren und Die Kluge: Ein extrem kurzweiliger Frankfurter Weill/Orff-Doppelabend
(…) Zwei kurze, prickelnde Opern über Wahrheit, Macht und womöglich auch Liebe, die eine viel unbekannter als die andere, in dieser Kombination überaus originell. Kurt Weill wollte mit der Buffo-Oper Der Zar lässt sich fotografieren auf ein Libretto von Georg Kaiser vor allem die gemeinsame, ebenfalls kurze Oper Der Protagonist abendfüllend aufpäppeln. Nach der Uraufführung 1928 wurde sie häufiger nachgespielt, um in und nach der NS-Zeit in der Versenkung zu verschwinden. Der Zar taucht im Pariser Fotoatelier der reizvollen Angèle auf, deren Studio aber von einem antizaristischen Terrorkommando überfallen worden ist, das im Fotoapparat eine Pistole montiert und mithilfe einer „falschen Angèle“ ein todsicheres Attentat plant (wann halte schon einer so still wie beim Fotografieren). Die falsche Angèle und der Zar turteln heftig, sind entsprechend nicht bei der Sache, die zudem auffliegt. Der Terrorzelle gelingt die Flucht, und der Zar lässt sich fotografieren.
Während Weill erst nach Paris, dann in die USA floh, arbeitete Carl Orff (fünf Jahre vor ihm geboren, 32 Jahre nach ihm gestorben) in NS-Deutschland weiter, und auch Die Kluge, im Februar 1943 in Frankfurt uraufgeführt, durfte gespielt werden. Kaum zu glauben, wenn hier der Niedergang des Rechts, der Sieg von Lug und Trug, die Ohnmacht jener, die die Wahrheit sagen, allenthalben angeprangert werden. „Denn wer viel hat, hat auch die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch! Denn über allem steht Gewalt.“
Mag sein, die einen haben die richtigen Schlüsse gezogen (es gibt Berichte über Proteste wie auch über maßlosen Applaus), die meisten aber müssen gedacht haben, jemand anderes sei gemeint. Etwas Bolschewistisches, Stalinistisches, Amerikanisch-jüdisch-Kapitalistisches, zum Beispiel. Dauerhaftes Lügen zeitigt Wirkung. Das Werk selbst (auf einen Text des Komponisten): eine Perle von einem Volksmärchen, in dem die Titelheldin die Dummköpfe, Schufte und bornierten Machthaber nach allen Regeln des Verstandes vorführt.
Manchmal sieht man Die Kluge mit Orffs Der Mond zusammen. Die neue Verbindung ist aber großartig. Der noch subtiler arbeitende Weill wie der noch wirkungsvoller arbeitende Orff haben Musiken von rasantem Unterhaltungswert geschrieben. (…)
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Insgesamt bietet dieser Doppelabend eine erfrischende Bereicherung des Repertoires. Keith Warner zeigt darin einmal mehr mit britischem Humor seine altmeisterliche Beherrschung des Regiehandwerks, und das Frankfurter Ensemble brilliert einmal mehr durch musikalische Exzellenz und hinreißende Spielfreude.
Michael Demel, www.deropernfreund.de
(…) Warner braucht für seine rasante Inszenierung vor allem Darstellerinnen und Darsteller. Sängerisch gibt es nicht viel zu gewinnen. Das Frankfurter Ensemble kann aber beides, singen und tanzen. Domen Križaj ist ein weich-baritonaler Zar, Juanita Lascarro eine kokett-falsche Fotografin. Elizabeth Reiter singt eine zärtlich-spitze Kluge, Mikołaj Trąbka einen hohlen König.
Die heimlichen Stars sind aber die drei Strolche, die fast permanent auf der Bühne sind, die singen und tanzen, trinken und turnen und in Windeseile von einer Rolle in die nächste schlüpfen müssen. Der beste Turner ist Iain MacNeil, der eleganteste Tänzer Dietrich Volle und kein Hahn kräht schöner als Andrew Bidlack. (…)
Bernd Zegowitz, www.die-deutsche-buehne.de
(…) Yi-Chen Lin am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters gelingt es, die blitzschnellen Wechsel des Tonfalls bei Weill flott umzusetzen und von nervöser Hektik in samtweiche Beischlafanbahnung umzuschalten – mit einem Knips. (…)
Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung