Regisseurin Tatjana Gürbaca verwandelte ihr Debüt an der Oper Frankfurt am Sonntagabend in einen szenischen Triumph. (…) Im Verein mit Bühnenbildner Klaus Grünberg zeigte sie die Irrfahrten und die Heimkehr des Odysseus ausgehend von einer Ausgrabungsstätte, in der einer der touristischen Besucher zum Protagonisten Odysseus bestimmt wird. Nach und nach legen Gürbaca, Grünberg und die temperamentvolle Kostümbildnerin Silke Willrett so alle Schichten und Geschichten des europäischen Urmythos frei. (…)
Bettina Boyens / Wieland Aschinger, www.musik-heute.de
(…) Es ist das Verdienst der Oper Frankfurt, das Werk wieder in seiner Komplexität zur Diskussion gestellt zu haben; und es ist zu hoffen, dass von dieser Frankfurter Erstaufführung zumindest eine kleine Dallapiccola-Renaissance ausgehen wird.
Dallapiccola, seit seiner Jugend fasziniert von der Schönberg-Schule, hatte sich seine höchst individuelle Form der Zwölftontechnik angeeignet, die tonale Berührungspunkte nicht meidet, eine ungewöhnliche Klangfarbigkeit entwickelt (manchmal klingt es wie erweiterter Debussy) und in der durchweg gesanglichen Stimmführung das italienische Erbe keineswegs verleugnet.
Dass die Frankfurter Oper dem gerecht wird, das orchestrale und sängerische Niveau von hoher Qualität ist, war zu erwarten; der Chor, ein Hauptdarsteller des Stücks, unter der Leitung von Tilman Michael leistet Großartiges; das Museumsorchester, dirigiert von Francesco Lanzillotta, schillert in allen Farben. Es ist jedoch Tatjana Gürbacas Inszenierung, die auch den existenzialphilosophischen Aspekten von Dallapiccolas eigenem Libretto gerecht wird. (…)
Wolfgang Fuhrmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
(…) Iain MacNeil, der über einen stattlichen und gar nicht defensiven, lichten Bariton verfügt, spielt den Titelhelden als eher passiv wirkende, tatsächlich jedoch in einer stetigen Suchbewegung und unaufdringlichen Selbstbehauptung begriffene Figur. Er schaut zwar gelegentlich skeptisch drein, erscheint aber vor allem vorbehaltlos, ein leeres Gefäß, der Mensch an sich. (…)
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Mit unverkennbar italienisch geprägtem Sinn für das Kantable erkundet Dallapiccola die Möglichkeiten sämtlicher Stimmfächer. Da ist beispielsweise Katharina Magiera, die mit sämigem Alt in die Tiefengründe von Kirke und Melantho steigt, die dramatisch ergreifende Claudia Mahnke, der Ulisse als seiner toten Mutter im Hades begegnet, der süffige Tenor von Brian Michael Moore als Eumäos oder der markant virile Danylo Matviienko als Freier Antinoos. Sie alle bleiben aber letztlich Episode, während Iain MacNeil als Ulisse alles zusammenhält, mit einem herrlich bronzen gesättigten Bariton, der in der Höhe eine fast tenorale Wärme verströmt. Der noch recht junge Sänger übermittelt nicht nur die Selbstexegesen seiner Figur mit markanter Textverständlichkeit, sondern bindet sie auch stimmlich unter makellose Legatobögen.
Es gehört zur Programmpolitik des Frankfurter Intendanten Bernd Loebe, immer wieder unbekanntere Musiktheaterwerke vorzustellen. Dallapiccolas Ulisse erweist sich dabei als eines, das im Konzertsaal vielleicht besser aufgehoben ist als auf der Bühne, aber die Auseinandersetzung unbedingt lohnt. Weil Ulisse, dieser Niemand auf der Suche nach sich selbst, noch immer unser Zeitgenosse ist.
Michael Stallknecht, Süddeutsche Zeitung
Seit mehr als 40 Jahren galt sie als unspielbar: Luigi Dallapiccolas eigenwillige Zwölfton-Oper Ulisse aus dem Jahre 1968. Zu literaturlastig sei sie, zu lyrisch, zu wenig dramatisch und überhaupt: voll von trockener, philosophischer Intertextualität und musikalischen Selbstzitaten des italienischen Komponisten.
All das schreckte Regisseurin Tatjana Gürbaca bei ihrem Operndebüt in Frankfurt nicht. Wo andere Probleme sahen, findet sie eine offene Erzählweise. Die sich verwischenden Grenzen von Realität und Traum, von Erinnerung und Gegenwart nutzt sie für ihre symbolhaltige Bildersprache. (…)
Bettina Boyens, Frankfurter Neue Presse
(…) Kaum hoch zu loben ist der Frankfurter Opernchor. Er spielt eine Hauptrolle in dieser Klangschöpfung mit hochkomplexem Singen und Sprechen und tut dies mit der Inbrunst einer Bach-Passion. Einfach fabelhaft. (…)
Bernd Künzig, SWR 2 / Journal am Mittag
(…) Regisseurin Tatjana Gürbaca erzählt die Reise des Odysseus zu sich selbst mit starken, phantasiereichen, auch provokativen Bildern, in denen die Geschlechterrollen der Untoten in der Unterwelt aufgehoben sind und sogar die sexuelle Orgie bei der Rückkehr nach Ithaka kräftig, deutlich, aber nicht peinlich gezeichnet wirkt. (...)
Axel Zibulski, Wiesbadener Kurier
(…) Man muss lange zurückgehen, vielleicht bis zu Harry Kupfers Iwan Sussanin, um sich an eine Arbeit zu erinnern, die dem Opernchor eine choreografisch derart vielfältige Hauptrolle einräumt hat. Ob als Odysseus’ rudernde Gefährten, sensationshungriger Hofstaat oder als sich in Zeitlupe hereinwälzende, aus Toten bestehende Styx-Welle – hier ist er wichtigster Handlungsträger, lebendiger Teil des offenen Bühnenbildes und wird damit zu Odysseus ständigem Gegenüber.
Jeder der vielen Solisten gibt an diesem Abend sein schwieriges Rollendebüt. Dass die Oper Frankfurt die meisten aus dem Ensemble besetzen kann – Odysseus’ Mutter Antikleia verkörpert keine Geringere als Claudia Mahnke – spricht für sich.
Francesco Lanzillotta im Orchestergraben erzeugt aus den hypnotischen Zwölftonreihen ein raffiniertes Meereswogen und lässt Flöten, Vibrafon und Celesta samt grundierender Kontrabass-Flageoletts nicht nur in Nausikaas Traumsequenzen belcantoartig schimmern.
Bettina Boyens, Offenbach-Post