Porträt Helmut Lachenmann
zum 90. Geburtstag
Das Motto der Werkstattkonzerte – »Happy New Ears« – ist einem Neujahrswunsch von John Cage entlehnt. Cage gehört, zusammen mit Luigi Nono, dessen Schüler er war, und Karlheinz Stockhausen, zu den wichtigen Einflüssen, die Helmut Lachenmann geprägt haben. Am 27. November wird er 90 Jahre alt; Anlass, einen der wichtigsten Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts mit einem Porträtkonzert zu ehren. Seit fast 70 Jahren steht er mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff für Horizonterweiterung auf vielen Ebenen. »Kunst ist nicht Ausdruck dessen, was die Zeit prägt, sondern dessen, was ihr fehlt,« sagt Lachenmanns. Und formuliert mit Blick auf Beethoven: »Die Brechung magischer vertrauter Erfahrung durch den geistvoll geladenen, kreativen Willen.« Das beschreibt zugleich, worum es ihm geht.
Lachenmann entwickelt seit seinen Anfängen eine Gegenwelt des klingenden Tons. Er erforscht, wie der Klang aus dem Geräusch hervorgeht. Er folgt dabei der Devise, dass jedes akustische Ereignis zu Musik geformt werden kann. In Anlehnung an die in den 1950er Jahren aufkommende »Musique concrète«, die mit elektronischen Mitteln Alltagsgeräusche einfing und in die Musik übertrug, entwickelte er das, was er »Musique concrète instrumentale« nannte. Denn Lachenmann arbeitet nicht mit den Mitteln der Elektronik, sondern mit den klassischen Instrumenten der abendländischen Musik, die er fallweise um Instrumente aus anderen Kulturkreisen ergänzt. Dabei ist eine Erweiterung der Spieltechniken vor allem für Bläser und Streicher, aber auch Schlagwerk entstanden, für die Lachenmann eine eigene Notation entwickelt hat, die heute schon wieder zu einer Art Kanon geworden ist. Seine Oper Das Mädchen mit den Schwefelhölzern (1997), die 2015 auch an der Oper Frankfurt gespielt wurde, kann als Epochenwerk gelten.
Die Komposition Mouvement (- vor der Erstarrung) entstand 1983/84 als Auftragswerk des Ensemble Intercontemporain und wurde fast zeitgleich mit der Uraufführung vom Ensemble Modern gespielt. In einem Werkkommentar schrieb der Komponist: »Eine Musik aus toten Bewegungen, quasi letzten Zuckungen, deren Pseudo-Aktivität … selbst schon jene innere Erstarrung anzeigt, die der äußeren vorangeht.« Doch die »Virtuosität der ausgestrichenen Virtuosität«, wie es Lachenmanns Freund und Komponistenkollege Wolfgang Rihm nannte, schien den kritischen Impuls fast schon wieder zunichte zu machen. Lachenmann: »Ich empfand ausgerechnet dieses Stück, bei aller Liebe, als einen Rückfall ins allzu vertraut Musikantischer und wollte es eigentlich zurückziehen.« Die Interpretation des Ensemble Modern hat es verhindert. Inzwischen ist es weltweit über hundert Mal gespielt worden. Grund genug, sich dem Werk über 40 Jahre später erneut zu nähern.
PORTRÄT HELMUT LACHENMANN
Programm
Helmut Lachenmann (*1935)
Mouvement (- vor der Erstarrung) (1983/84)
Enno Poppe, Dirigent Moderation
Helmut Lachenmann, Gesprächspartner
