(…) Dank [Generalmusikdirektor Sebastian] Weigle und dem Intendanten Bernd Loebe konkurriert die Oper Frankfurt als überragendes Qualitätshaus heute nicht mehr allein mit Stuttgart, Hamburg oder München, sondern mit Paris, London und Mailand. Musikalisch hat es auch dieser Abend wieder bewiesen.
Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Tobias Kratzer inszeniert an der Oper Frankfurt Rudi Stephans Die ersten Menschen und manövriert sich klug durch den hochexpressiven Irrsinn.
(…) Die Typenbesetzung ist fabelhaft: Andreas Bauer Kanabas ein beflissener Adahm, Iain MacNeil ein zottelhaariger, ewig schlechtgelaunt keckernder Kajin, Ian Koziara ein glühend euphorischer Chabel. Und alle bläst Ambur Braid weg als hochemotionale Chawa – ihr Triumph ist auch der Triumph einer Weiblichkeit, die sich herausschält aus der kruden Archaik des Stücks.
Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung
(…) Hier kochen die Emotionen über, aber die kluge, den symbolistischen Fettauswuchs strikt abstreifende Kratzer-Inszenierung hält klug den Deckel auf dem Operntopf.
Manuel Brug, Die Welt
(…) Dass der Beginn des zweiten Aufzugs nicht nur instrumental einen so starken Eindruck hinterlässt, ist der Besetzung der Eva, die im Libretto im Rückgriff auf das Hebräische Chawa heißt, mit Ambur Braid zu verdanken. Ihr großformatiger Sopran formuliert die Sehnsucht nach Leben ausgesprochen glaubwürdig. Dass sie ihre Lust dann mit Abel in einem ausgebrannten Autowrack auslebt, offenbar der Familien- Kombi aus glücklicheren Zeiten, hat eine deutlich ironische Note. (…)
Volker Milch, Wiesbadener Kurier
(…) Adam und Eva auf der Bühne zu zeigen, wäre auch ohne die Inzest-Problematik (gegen die Siegmund und Sieglinde zwei keusche Engel sind) nicht so einfach, wenn man nicht ins Feixen kommen will. Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier greifen kräftig ein und kommen gerade dadurch zu einem genialisch plausiblen Ergebnis. Die Welt scheint hier eher an ihr Ende gekommen zu sein. Im ersten Akt sehen wir Adams Familie in einer Art Bunker. Die leuchtende Sommerlandschaft vor den Fenstern erweist sich nachher – man wundert sich schon etwas – als Videoillusion. Die Regale sind nach Prepper-Art mit wenig leckerem Essen gefüllt, aber damit dürfte eine ganze Weile hinzukommen sein. Adam pflegt sein winziges Zimmerbeet. Eine Leiter führt zum Ausgang nach oben, dort scheinen Schutzanzüge am Platze zu sein. Aber ein Hund stromert durchs Gelände und bekommt Szenenapplaus.
Im zweiten Akt bestätigen sich die schlimmsten Ahnungen. Draußen zeigt sich auf einer Drehbühne eine zerstörte Welt von heute, Auto, Klettergerüst, Plantschbecken – manches davon war zuvor im Familienfilm aus glücklichen Tagen zu sehen (Video: Manuel Braun) – stehen abgebrannt umher. Ein ebenfalls stehengebliebener Kaminschlot ist zum Opferaltar umfunktioniert – Religion noch ohne Kirche und Liturgie über das hinaus, was Chabel vorschlägt. Die Schutzanzüge scheint es immerhin nicht mehr zu brauchen. Hier kommen sich Chawa und Chabel näher, hier bringt Kajin den Bruder um, nicht weil Gott sein Opfer verschmäht, sondern weil er vor Eifersucht rast. Als Mann, nicht als Sohn.
Kajins sexueller Überdruck und generelle Unausgeglichenheit – beglaubigt durch ein Saxofon, das ihn durchaus beharrlich begleitet, ihm vorauseilt, ihm hinterherspringt – werden mit allen Konsequenzen ausgespielt. Kratzer, der sich nie mit seinen originellen Settings und Grundeinfällen begnügt, der praktisch immer eine erstklassige Personenregie bietet, hat hier noch dazu ein fabelhaftes Quartett zur Verfügung. (…)
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Großartig, wie die vier Mitwirkenden ihre hoch anspruchsvollen Rollen meistern, die sie allesamt zum ersten Mal singen: Andreas Bauer Kanabas als Adam, Ambur Braid als Eva, Ian MacNeil als Kain und Ian Koziara als Abel. Sie müssen nicht nur ganz großformatig gegen das Orchester unter Leitung von Sebastian Weigle ankommen, sondern auch noch absolut glaubwürdig die wohl bekanntesten biblischen Gestalten verkörpern, und zwar ohne der Versuchung zu erliegen, das Pathos von Monumentalfilmen wie den Zehn Geboten zu imitieren. (…)
Peter Jungblut, BR-Klassik / Allegro
(…) Dirigent Sebastian Weigle und das fabelhafte Frankfurter Opern- und Museumsorchester triumphieren. Die Musikerinnen und Musiker spielen atemberaubend genau, klangmächtig und balancieren das rhythmisch Vertrackte der Partitur meisterhaft. Nach fünfzehn Jahren ist es die letzte Premiere des scheidenden Generalmusikdirektors. Hier geht wahrlich eine Ära des symbiotischen Zusammenarbeitens zu Ende. Unvergessliche Höhepunkte der Opernkunst hat dieses gemeinschaftlich stimmige Wirken erreicht. Einer davon ist diese mehr als berechtigte Wiederbelebung von Rudi Stephans musikdramatischem Sonderling.
Bernd Künzig, SWR 2 / Am Morgen
(…) Ein ungewöhnliches, aber hörenswertes Abschiedsstück hatte sich Weigle ausgesucht, der in Frankfurt Repertoireschwerpunkte in den Opern von Richard Wagner und der Musik des frühen 20. Jahrhunderts verfolgte. Diesem Umfeld lässt sich auch Stephans Oper zuordnen, deren riesige Orchesterbesetzung so brillant und farbenreich ist, dass sie sogar ein Altsaxofon und eine Orgel einbezieht. Von den vier Solisten Adahm, Chawa, Kajin und Chabel, wie die Urfamilie hier mit ihren hebräischen Namen heißt, verlangt Stephan extremen vokalen Nachdruck. (…)
Rhein-Zeitung, Axel Zibulski
(…) Die Musik steht in der Vergangenheit und begrüßt die Zukunft. Harsche atonale Reibereien grenzen an wohlige Durakkorde, die vor allem die gottesfürchtigen Sphären einkleiden. Sebastian Weigle (in seiner letzten Premiere) setzt das brillante Museumsorchester in Szene. Nach impressionistisch-zartem Beginn forciert die Musik höchste, bisweilen schrille Höhen. Unbequem für die Sänger, die oft lange Töne halten müssen und eine lebhafte Konversation rasch in dramatischste Gefühlsausbrüche überdrehen. Nach Gewöhnung an die Lautstärke bewundert man Ambur Braid (Chawa) und Andreas Bauer Kanabas (Adahm) immer mehr, weil sie die archetypischen Erstmenschen, ihre Ängste und Spleens mit stimmlicher und gestischer Präsenz und unermüdlicher Kondition in die Gegenwart holen. Iain MacNeil gibt mit kraftvoll hellem, in tenorale Höhen getriebenem Bariton den Kajin, Ian Koziara (Chabel) ist zu wunderbarem messa di voce fähig. Starker Beifall, in den hinein der Oberbürgermeister dem nach 15 ereignisreichen Jahren scheidenden GMD die Ehrenmitgliedschaft der Frankfurter Oper verleiht. Fünf Vorstellungen der Ersten Menschen bleiben noch – man sollte sie nicht versäumen!
Andreas Bomba, Frankfurter Neue Presse
(…) Insgesamt ist hier eine musikalisch herausragende und szenisch spannende Umsetzung eines vergessenen Meisterwerks gelungen, mit dem die Oper Frankfurt nicht nur die Saison, sondern auch die Ära Weigle glanzvoll abschließt. Der Gesamteindruck ist so überzeugend, dass er andere Opernhäuser dazu ermutigen sollte, Rudi Stephans Geniestreich auf den Spielplan zu setzen.
Michael Demel, www.deropernfreund.de