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Rückwärts ins Nichts: Claus Guth ist in Frankfurt mit Poulencs Dialogen der Karmelitinnen eine spannende Inszenierung gelungen – optisch und intellektuell
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Manuel Brug, Die Welt
Wer das Stück kennt, wartet mit einigem Bangen auf das Ende von Francis Poulencs Dialogues des Carmélites. Die Nonnen aus einem Konvent in Compiègne sollen, ohnehin entehrt durch den Furor der Französischen Revolution, unter der Guillotine sterben. Fast genüsslich saust in der Musik das Beil herab – Claus Guth, der Regisseur der Frankfurter Inszenierung, lässt dennoch keine Köpfe rollen. Die Nonnen fallen (unter betörenden Gesängen des Frauenchors vom dritten Rang herab), buchstäblich in ein tiefes Loch, das sich im Bühnenboden auftut. Könnte ein Grab sein, aber auch Übergang in ein Leben in Ungewissheit, wenn es für die jungen Frauen keinen Orden, keine Regel, keine Keuschheit, kein Gelübde mehr gibt. Die Hauptfigur, Blanche de la Force, bleibt auf den Brettern liegen – vielleicht geht es ja auch mit ihr weiter, offen bleibt nur, ob in Fluch oder Segen. Gebet ist Pflicht, hat man ihr beigebracht, aber: „Martyrium ist Belohnung!“ (…)
Andreas Bomba, Frankfurter Neue Presse
(…) Zuallererst war es eine der bestaussehenden Inszenierungen, die unter Claus Guths Namen herausgekommen ist. (…)
Aber wie immer bei Guth war da sehr viel mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen war – und durchaus gefiel. (…)
Nicolas Blanmont, Opera (Übersetzung: Oper Frankfurt)
(…) Mit Blut an den Händen geboren, ein Irrläufer in ihrer Suche nach Sicherheit, Geborgenheit, Schutz. Das ist Blanche. Grandios verlieh Maria Bengtsson dieser Partie Ausdruck und Stimme. Mühelos gestaltete sie die kurzen schmerzlich schönen Sequenzen, zeigte Blanche trotz vieler Rückschläge als kämpferisch und fand den Ausweg. Im Finale zum Salve Regina stieß sie passgenau zu jedem Aufprall der herabsausenden Guillotine eine ihrer Doubles, eingeführt als Sinnbild ihrer Bewusstseinsspaltung, in die Grube und befreite sich damit von der Angst.
Mühelos agierte an ihrer Seite Florina Ilie in der Rolle der lebenslustigen wie naiven Novizin Constance. Authentisch wie robust zeigte sich Elena Zilio als Priorin Madame de Croissy, die in ihrer Todesstunde an extremer Todesangst litt. Ambur Braid in der Rolle der neuen Priorin Madame Lidoine sang formschön, bestach im Kontrast zur alten Priorin durch eine überlegt nüchterne wie besonnene Gradlinigkeit. Herbe Strenge wie bestimmende Dominanz, verdeckt hinter mütterlicher Fürsorge, aber mit dem bedrohlichen Strick in der Hand, verkörperte Claudia Mahnke als Mère Marie de l'Incarnation, die es in der Geschichte tatsächlich gab und das von ihr erzwungene Martyrium überlebte.
Die männlichen Rollen erfüllten nur Randfunktionen, aber souverän. In der Doppelrolle als Bruder und Priester überzeugte Jonathan Abernethy. Die Chorpartien, die Poulenc auf die Verstärkung der jeweiligen situativen Stimmung zugeschnitten hatte, wurden von einem Kammerchor klangschön, dicht und satt von der Galerie im Zuschauerraum aus intoniert. Durch diese Platzierung verstärkte sich der Eindruck eines alles umschließenden Raumklangs.
Poulenc war bis zum Ende seines Lebens überzeugter Traditionalist. Die Musik seiner Oper ist diatonisch, neoklassizistisch, reich an stilistischen Überraschungen, die seinen sehr eigenwilligen Personalstil bedingen. Takeshi Moriuchi erstellte für die Frankfurter Erstaufführung eine Kammerorchester-Fassung, am Pult die vielfach ausgezeichnete junge litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė. Trotz kleiner Besetzung ließ sie es krachen, forderte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu extremer Gestaltung und kraftvollem Spiel, immer überaus durchlässig im Klang, im Ausdruck fesselnd, bedrohlich, düster. Das Publikum feierte diese durchweg hervorragende Produktion mit lang anhaltendem Applaus.
Christiane Franke, www.klassik.com
(…) Auch gestaltet Claus Guth ein eigenwilliges Ende. Das Ende der Oper ist berühmt, aber so wird man es noch nicht gesehen haben. Schon deshalb sollte man die Inszenierung im Grunde nicht verpassen, die die Frankfurter Erstaufführung ist und das Publikum fordert. Es tut gut, einmal wieder in einer Oper gefordert zu werden. Auch die Musik ist fordernd, aber nur durch überraschende Formentscheidungen, mit denen Poulenc ihren anschmiegsamen Fluss immer wieder stoppt. Oft sind das Schnitte.
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Poulencs wirkungsvolle Musik musste wegen der Abstände im Orchestergraben deutlich reduziert werden, Takeshi Moriuchi stellte eine Kammerorchesterfassung her, die gar nicht mal unvollständig klingt – trotz eines zum Beispiel fast entschwundenen Bläsersatzes –, aber das Rauschhafte doch drosselt. Herausragend der von Tilman Michael einstudierte Frauenchor, der trotz der Entfernung exzellent in den Gesamtklang eingebaut wurde. Die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė lässt es bei ihrem Frankfurter Operndebüt so sehr blühen wie möglich. Zugleich ist die Musik bei ihr trotzdem gar nicht allgemein atmosphärisch, keineswegs schummrig, sondern durchhörbar und gewissermaßen streng. Der fragmentarische Charakter wird mit den (vorgeschriebenen, aber sonst nicht immer so stark beachteten) Pausen und Dunkelheiten eher noch hervorgehoben. Durchaus auch zur Irritation des Publikums. (…)
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Das kollektive Sterben der Nonnen verwandelt sich in Guths ungemein suggestiver Inszenierung in einen Akt individueller Selbstbefreiung und Abschied von der Vergangenheit (…).
Volker Milch, Darmstädter Echo
(…) Der klangschöne Frankfurter Opern-Chor singt, mit weitem Abstand, hinten aus dem Zuschauerraum vom dritten Rang herunter. Als Ersatz für den Karmelitinnen-Chor schickt Claus Guth acht Tänzerinnen in blauer Fantasie-Tracht und weißen Häubchen auf die Bühne. Die expressive Choreografie von Ramses Sigl erinnert wahlweise an fernöstliche Sonnengebets- oder selbstmörderische Harakiri-Rituale. Den zweiten Plot der Oper – den Märtyrertod der Karmelitinnen unter der französischen Revolutions-Guillotine – drängt Claus Guth hier bewusst an den Rand (…).
Stattdessen schickt Blanche sozusagen ihre Ängste aufs Schafott. Die erscheinen hier als lauter blond-bezopfte Blanche-Doubles, laufen zunächst manisch in einer Art Reise-nach-Jerusalem-Spiel umher, bis Blanche sie – eine nach der anderen – in eine schwarze Luke schubst, die sich unmerklich im Bühnenboden aufgetan hat. Ist Blanche nun endlich Angst-frei? Diese Frage bleibt, Gottlob, offen an diesem sehens- und hörenswerten Abend.
Ursula Böhmer, Deutschlandfunk / Musikjournal
(…) Maria Bengtsson, die bereits der Daphne 2010 eine überirdisch schöne Stimme geliehen hatte, verbindet nun als Blanche die Weichheit des Timbres mit dem Aufbegehren gegen familiäre Ansprüche, wie sie vom Bruder (Jonathan Abernethy) an sie herangetragen werden.
Im Bühnenbild von Martina Segna spielt ein Tisch als Rückblende in die Kindheit eine zentrale Rolle. Gegenüber der Vaterfigur (Davide Damiani als Marquis de la Force) bleibt ein Stuhl frei für die fehlende Mutter, die als stumme Wiedergängerin über die Bühne schreitet und von der alten Priorin Madame de Croissy (Elena Zilio mit einer großartigen Charakterstudie) Gesellschaft bekommt. Ambur Braid als Madame Lidoine, die neue Priorin, Florina Ilie als Soeur Constance und Claudia Mahnke als Mère Marie überzeugen nicht weniger als wirkliche Sängerdarstellerinnen. Die junge litauische Gastdirigentin Giedrė Šlekytė trägt die Verantwortung für die lyrischen Reize einer reduzierten Corona-Fassung für Kammerorchester.
Als die Körper abwesender Stimmen werden auf der Bühne Tänzerinnen aktiv. Ort ihrer choreografischen Selbstkasteiung ist auch ein Kubus, in dem man das Kloster als geschlossene Anstalt erkennen mag. Poulencs Sicht von Blanche, seinem „eigentlichen Thema“, deckt eine solche Interpretation: „Diese junge Frau ist krank, sie ist wahnsinnig!“ Claus Guths Psychogramm ist übrigens zu fesselnd, um die Maske länger als fünf Minuten im Gesicht zu spüren.
Volker Milch, Wiesbadener Kurier
(…) Claus Guth, der Seelenzergliederer unter den Opernregisseuren, liest das Stück als weibliche Befreiungsgeschichte und lässt dabei die Grenze zwischen Wirklichkeit und Vorstellungskraft verschwimmen. (…)
(…) Guth findet immer wieder eindrückliche, auch rätselhafte Bilder, um das Innere von Blanche, die Maria Bengtsson erst zerbrechlich und zart, später mit immer größerer Entschlossenheit singt, sichtbar zu machen. Eindringlich auch die Priorin von Elena Zilio und die Schwester Marie von Claudia Mahnke.
Mit ausgedünntem Orchester unter der Leitung der litauischen Dirigentin Giedrė Šlekytė klingt die Musik von Francis Poulenc noch spröder als sonst, wirken die lyrischen Stellen weniger süffig. Aber da auch Claus Guth mit feinem Besteck seziert, ergänzen sich Szene und Musik geradezu ideal.
Bernd Zegowitz, Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg
(…) Takeshi Moriuchi, der hauseigene Studienleiter, hat die große Partitur mit viel Geschick auf ein Kammerensemble reduziert, die Bläser sorgen für plastische Farbigkeit, die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė treibt das Opern- und Museumsorchester an und hält die musikalischen Fäden souverän in der Hand. Einhellige Zustimmung des von Ängsten erlösten Publikums.
Andreas Bomba, Offenbach-Post