(…) Der bekannte, am rechten Rand der Vorderbühne verharrende Hase des Nürnberger Meisters Dürer trägt bereits den herabhängenden Strick ums Genick. So sieht Regisseur Johannes Erath in seiner Inszenierung von Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg am Opernhaus Frankfurt die Kunst im Würgegriff. Denn die Kunstzunft hat sich ein so starres Regelwerk gesetzt, dass es sich in formelhaften Kreidezeichen über die ganze Fläche der mobilen, kirchenschiffartigen Bühnenarchitektur von Kaspar Glarner zieht. Nicht erst später, sondern von Anfang an ist Hans Sachs mit seinem Konkurrenten Sixtus Beckmesser ein um die von ihrem Vater Pogner als Preisgeld gesetzte Eva Werbender. Dass er am Ende doch zugunsten Walther von Stolzings auf sie verzichtet, gehört zu seinem Plan, Beckmesser eins auszuwischen. Aber wie das Paar eines absurden Theaters bleiben der Dichter Sachs und sein Kunstkontrolleur Beckmesser aneinander geschmiedet. Zur berüchtigten, von Sachs vorgetragenen Ansprache der deutschen Kunstfeier zieht Beckmesser den roten Vorhang zu. Stumm wie das Publikum, verfolgt er die Rede mit. Dann öffnet sich noch einmal der Vorhang für den Jubel-Chor und von oben herein schwebt als Neonleuchtschrift das Wort „Germania“, bevor es zu den Schlussakkorden zur „Mania“ ausgeknipst wird. Schon zuvor besingt Sachs bei Wagner den Wahn. (…)
Bernd Künzig, SWR 2 / Journal am Mittag
(…) Wahnsinn, diese tollkühne Inszenierung!
Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
(…) Alles steht und fällt mit der Musik, nein, nicht alles, wie sich jetzt erneut zeigt, aber vieles. An einem gut geführten Haus übernimmt selbstverständlich der Generalmusikdirektor die Leitung, wenn er das wünscht, und Sebastian Weigle hat einen liebevoll bestimmten Zugriff auf das Werk, dessen musikalische Schönheit er mit leichter Hand (na ja, wie mit leichter Hand) herausarbeitet.
Jedenfalls ist das Ergebnis federnd strahlend im Detail. Feines Gewirk statt Klangmasse, das glänzend aufgelegte Orchester bietet das komplette Gegenteil einer Ohrenbetäubung. Nur selten kommt es zum allgemeinen Aufbauschen. Am ehesten darf der Chor (unter der Leitung von Tilman Michael), etwa beim „Wach auf“, die Haare des Publikums für einen Moment nach hinten fliegen lassen. Es geht in Frankfurt nicht um Kleinformat, es geht um Transparenz. Das Pathetische, weitgehend selbst das ironisch Gravitätische hat sich verabschiedet, nicht weil die Musik banalisiert, sondern weil sie sublimiert wird. Ein junges Ensemble lässt ausgezeichnete Stimmen hören und Spaß an Spiel, Arbeit und sogar Sport sehen. (…)
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Die zentralen Partien sind nahezu komplett aus dem Ensemble des Frankfurter Hauses besetzt. Nicholas Brownlee singt einen beeindruckend standhaften Sachs (…). AJ Glueckert ist ein wunderbar geschmeidiger, klug dosierender Stolzing, Andreas Bauer Kanabas ein kraftvoller Pogner. Gäste sind der überragende Michael Nagy als Beckmesser, der die richtige Mischung aus trockenem Konversationston und melodischem Gesang findet, und Magdalena Hinterdobler als aufblühende Eva. Und da auch noch der Chor homogen und kraftvoll singt, ist der Abend sängerisch ein Fest. (…)
Bernd Zegowitz, Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg
(…) Es ist die konkurrenzlose Stärke des Ensembles der Oper Frankfurt, die mir nach dieser musikalisch exquisiten Vorstellung in Erinnerung bleiben wird.
Hugh Canning, Opera (Übersetzung: Oper Frankfurt)
(…) Beckmesser, Hauptziel des Wagnerschen Spotts, ist eben kein spitzfindiger (jüdischer…) Kritikaster. Michael Nagy eine Bestbesetzung, indem er wunderbare Töne findet, feine Nuancen und Sinn fürs Detail. (…)
Andreas Bomba, Frankfurter Neue Presse
Singt da nicht Heino mit auf der Festwiese? Den deutschen Barden mit der Sonnenbrille erwartet man eigentlich nicht im großen Finale von Richard Wagners Meistersingern, aber er passt ganz gut in die altdeutsche Gemengelage. Schließlich ist er auch schon mit völkischem Liedgut ins Gerede gekommen. Udo Lindenberg könnte man das hingegen nicht vorwerfen, und schon gar nicht den Beatles oder Luciano Pavarotti. Sie alle sind in dem großen, bunten Chor-Tableau zu entdecken, mit dem Johannes Erath als Regisseur der Frankfurter Premiere der nur bedingt komischen Oper Die Meistersinger von Nürnberg die nationale Selbstfeier zum internationalen Musikfest weitet. Getragen von einem prächtigen, von Tilman Michael einstudierten Kollektiv, das dem Titel „Chor des Jahres“ alle Ehren macht. (…)
Volker Milch, Wiesbadener Kurier
Großen Jubel erntete Regisseur Johannes Erath, der in Wagners einziger komischer Oper Die Meistersinger von Nürnberg am Sonntagabend nicht nur Parallelen zu Mendelsohns / Shakespeares Ein Sommernachtstraum entdeckte, sondern ihm auch mit Samuel Beckett Züge des absurden Theaters verlieh. So arrangierte er das Sängerpaar Hans Sachs und Stadtschreiber Sixtus Beckmesser als Verwandte von Estragon und Wladimir, die untrennbar miteinander in Hass, Zuneigung und Abhängigkeit verbunden sind.
(…)
Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der Die Meistersinger von Nürnberg in Bayreuth fünf Jahre lang dirigierte, betonte das kammerspielartig intime von Wagners komplexen Werk und ließ die vielen polyphonen Verwebungen in all ihrer changierenden Vielfältigkeit schimmern. Ensemblemitglied Nicholas Brownlee gab als Hans Sachs ein Bayreuth-würdiges Debüt, ebenso wie Andreas Bauer Kanabas in der Rolle des Goldschmieds Veit Pogner. Eindrücklich in seiner mal mitleiderregenden, mal ulkigen Beckmesser-Eselei verwandelte Gastbariton Michael Nagy sein Debüt in einen Triumph (…). Einmal mehr zeigte der gerade preisgekrönte Opernchor unter Tilman Michael mit dem „Wach auf!“-Chor seine überragende Qualität.
Bettina Boyens / Wieland Aschinger, www.musik-heute.de