Der Komponist Vito Žuraj und der Dramatiker Händl Klaus haben Thomas Manns Novelle Die Betrogene als Opernstoff bearbeitet. Das Ergebnis: kluges Musiktheater, das berührt. (…)
Gäbe es einen Nobelpreis für Zynismus, Thomas Mann hätte ihn für seine letzte Novelle verdient. Erbarmungsloser, hoffnungsloser, trauriger geht es nimmer: Eine ältere Frau nach dem Klimakterium verliebt sich in einen jungen Studenten. Als die Beziehung körperlich wird, setzen (wieder) Blutungen ein, was die Verliebte als Verjüngung interpretiert, als Zeichen neuer Fruchtbarkeit. Doch in Wirklichkeit handelt es sich um einen bösartigen Tumor...
Gäbe es einen Nobelpreis für eine gefühlvolle, völlig antizynische Umsetzung dieser Geschichte, der slowenische Komponist Vito Žuraj und der aus Tirol stammende Dramatiker Händl Klaus hätten ihn verdient. Zwar werden auch hier in rund 75 Minuten viele grausame Details erzählt, aber es gibt eine große Zugewandtheit der Autoren zur leidenden, sterbenden Frau. (…)
Jörn Florian Fuchs, BR-Klassik / Leporello
(…) Die Inszenierung von Brigitte Fassbaender lässt sich in einer hochrühmlichen Art vorbehaltlos auf das Stück ein; sie lässt den Figuren Raum. Ein variabel raumteilendes Element auf der Bühne von Martina Segna sind Reihen von schlanken Pfählen, deren knospende Äste an Weidenkätzchen erinnern, zugleich aber auch weitere, dunklere Assoziationen zulassen, etwa an Geschwüre. (…)
Stefan Michalzik, Darmstädter Echo
(…) Die Solisten bilden ein Ensemblewunder. Bianca Andrew als Aurelia ist so glaubwürdig wie berührend. Die Anna von Nika Gorič als Tochter mit Klumpfußhandicap wandelt sich zu einer den mütterlichen Verlust Betrauerenden. Jarrett Porter ist ein einfühlsamer Sohn, der machtvolle Bass von Alfred Reiter verkörpert den Arzt als archaischen Todeskünder. Und der lyrische Tenor von Michael Porters Ken ist ein zutiefst ehrlich Liebender. Die Uraufführung von Vito Žurajs und Händl Klaus’ Blühen an der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot ist ein Riesenerfolg für die zeitgenössische Oper.
Bernd Künzig, SWR 2 / Am Morgen
(…) Eine besondere Rolle kommt dabei einem gemischten Vokalensemble – exzellent einstudiert von Takeshi Moriuchi – zu, ein steter emotionaler Begleiter der Protagonistin, ausschließlich in einer Lautlichkeit, die vorwiegend stoßweise oder in langgezogenen Wellenbewegungen hervorgebracht wird. (…)
Stefan Michalzik, Allgemeine Zeitung Mainz
(…) Wie verbunden sich Vito Žuraj mit dem Ensemble Modern fühlt, lässt sich in jeder der 75 Premierenminuten bewundern. Besonders der musikdramatische Spannungsabfall der aus sieben Bildern bestehenden Oper ist ungewöhnlich. So zeigt Žuraj bereits zu Anfang im pochenden Blech das wuchernd Ungesunde und lässt die 20 solistisch aufspielenden Frankfurter Musiker unter Leitung von Michael Wendeberg pulsieren und sprießen, während Aurelia noch mit glitzernden Celestaklängen von einer rosigen Zukunft träumt. (…)
Bettina Boyens, Frankfurter Neue Presse
(…) Regisseurin Brigitte Fassbaender hat ein kleines und ungemein fesselndes Meisterdrama abgeliefert. Mit zudem bis auf eine Sängerin lauter Eigengewächsen der Oper bestückt. Und es verdient jeden Respekt – auch wenn das Thema eines ist, dem man sich nicht gerne stellt.
Bettina Kneller, Main-Echo Aschaffenburg
(…) In gewisser Weise ist das alles dann doch wieder ganz klassisch, nur eben mit Mitteln des 21. Jahrhunderts. Vito Žurajs Musiksprache ist gekennzeichnet durch vor allem geräuschhaft-bewegte Instrumentalfarben; jeder Figur ist leitmotivisch ein Instrument zugeordnet Mitunter wirkt das beinahe wie eine avantgardistische Filmmusik. Auf eines setzt der 43-jährige Komponist ganz und gar nicht: Klangwucht. Weitreichend sind es eher gedämpfte, verhaltene Klänge, aus denen er eine singuläre Wirkung zieht.
Dramaturgisch so schlicht wie wirkungsvoll wird erzählt in der Form einer Stationen-Chronik. Das geht zunächst recht geschwind und kulminiert in einem sehr unmittelbaren Bild der erotischen Erfüllung. Viel Zeit nimmt dann schließlich die Sterbeszene ein. Im Hintergrund bricht ein gewaltiges Krebsgeschwür aus der Wand, die instrumentale Textur ist nun ausschließlich perkussiv, vorwiegend sind es Klangschalen, die von den Musikern angeschlagen werden.
Mit einem außerordentlichen Klangsinn agierte das Ensemble Modern unter der das Zarte, Leise, Intime rückhaltlos auslotenden Hand von Michael Wendeberg. Ein Abend von einer äußersten Eindringlichkeit, nicht zuletzt ob der Einheit aller Elemente.
Stefan Michalzik, Wiesbadener Kurier
(…) Die Regie findet in einer abstrakten Umgebung zu so viel Menschlichkeit, dass es erschütternd ist. Erschütternd auch, wie selten man das auf der Bühne sieht: Menschen.
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
(…) Aus der großen Mezzosopranistin von einst [Brigitte Fassbaender], der sinnlichsten von allen, ist längst eine der großen Opernregisseurinnen unserer Zeit geworden, die noch mit über achtzig Jahren Mut zu ganz Neuem beweist.
Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung